Kurz nach meiner Ankunft in Ulan Bator habe ich gejodelt und alle hier wissen lassen, dass ich angekommen sei, dass man sich gerne bei mit melden könne, wenn einem der Kopf nach einem Bier stünde und dass ich weiblich und 24 und deutsch sei. Aber niemand hat mich gehört, geschweige denn zurück gejodelt.
In der ersten Woche der Wohnheim-Zeitrechnung kam dann plötzlich eine Antwort auf meinen fast schon vergessenen Jodel.
Für alle, die bis hierhin schon mindestens dreimal die hippe Jugendsprache verflucht und Pupillen in Form von Fragezeichen haben, folgt hier ein kurzes Jodel-Tutorial. Tutorial, noch so ein hippes Wort, ich weiß!
Jodel ist eine App. Sie ist orange, hat einen Waschbären als Emblem und ist eigentlich die reinste Zeitverschwendung. Man kann anonym Sachen jodeln, also schreiben, und andere können die meist wenig geistreichen Ergüsse dann kommentieren und sowohl den Jodel als auch die Kommentare entweder positiv oder negativ bewerten. Für jede positive Bewertung und für jeden Kommentar, den andere unter einem Jodel hinterlassen, gibt es Karmapunkte - von denen man sich nichts kaufen kann und die damit quasi wertlos sind. Die App verwendet immer den aktuellen Standort und man kommt damit mit den Leuten im Umkreis von zehn Kilometern ins Gespräch. Während in den meisten Fällen schlechte Witze und Anekdoten aus dem eigenen verkorksten Leben gejodelt werden, beweist Jodel manchmal auch seine Daseinsberechtigung. Zwar ruft der Schutz der Anonymität auch immer mal wieder die größten Idioten auf den Plan, viel häufiger bietet er aber Themen, die zum Beispiel gesellschaftlich noch tabu sind und / oder dem Autor des Jodels schlichtweg peinlich sind, eine Bühne. Ich habe mir bei spannenden Diskussionen schon die ein oder andere Nacht auf Jodel um die Ohren geschlagen... Die App stammt ursprünglich aus Schweden, wird aber wohl nirgendwo so viel genutzt wie in Deutschland. Als ich in Ulan Bator das erste Mal Jodel geöffnet habe, habe ich fast ausschließlich deutsche Jodel gelesen und dann eben gleich mal einen eigenen Jodel verfasst. Frau von Welt hat ihrer neue Hood allerdings auf Englisch mitgeteilt, dass sie nun vor Ort ist. Was muss, das muss. So, und damit wären wir nun also wieder beim Anfang.
Ich habe geschrieben:
„Sain beina uu! I’ll live in UB for the next 6 months. Anyone in for beer? :) btw, I’m female, german and 24!“
Melanie hat geantwortet:
„Hey:) Ich wohne jetzt auch für 2 Monate in UB und würde mich freuen mit dir nen Bierchen trinken zu gehen:) (w21)“
Wir jodeln kurz hin und her, tauschen dann Nummern und verabreden uns für den nächsten Abend auf ein Bier. Das ist mittwochs und damit auch an dem Tag, an dem mein erster Artikel über die Zeit in der Mongolei in der Rhön- und Saalepost erschienen ist. In Ostheim vor der Rhön lesen Leonies Eltern den Artikel und leiten ihn ihrer Tochter weiter, die aktuell ebenfalls in Ulan Bator lebt. Leonie schreibt mir darauf hin über das Kontaktformular hier im Blog eine E-Mail. Ich staune nicht schlecht, als die E-Mail am späten Abend ins Postfach flattert, lache über diesen Zufall herzlich auf und schicke ihr meine Nummer. Um 0:20 Uhr am Donnerstagmorgen gründe ich die What’s App Gruppe UB Mädels und singe dabei leise und etwas geschockt darüber, dass mir solche Musik überhaupt in den Kopf kommt, die wohlgekannten Zeilen aus dem ersten Highschool Musical Film: this could be the start of something new.
Viel zu spät, dafür aber mit einem fetten Grinsen im Gesicht, schlafe ich in dieser Nacht ein und freue mich auf den nächsten Abend!
Die Arbeitswoche ist diesmal kurz - am Freitag, den 8. März, ist der Internationale Frauentag und alle Frauen in der Mongolei haben frei. Das nenne ich mal ein Statement! Nach einem sehr langen und anstrengenden Arbeitstag stolpere ich viel später als geplant also in den Pub und lerne die Mädels hinter den beiden schrägen Begebenheiten vom Vortag kennen. Ein paar Stunden, reichlich Gelächter und einige Bier später bringen Melle und ich Leo nach Hause und laufen dann gemeinsam auf die andere Seite der Peace Brücke ins Stadtzentrum und damit nach Hause - Melle und ich sind fast Nachbarinnen.
Keine zehn Stunden später treffen wir drei wieder vor der Universität und frieren. Es ist viel kälter geworden und von den frühlingshaften Temperaturen ist nichts mehr zu spüren. Nachdem hier und dort noch eine Schicht Klamotten drüber oder drunter gezogen wurde, geht es los, unser Ziel für heute ist das Dsaisan-Denkmal auf einem Berg im Süden der Stadt. Unsre erste Anlaufstelle auf dem Weg dorthin ist das Ziferblat. Zum Glück steht der Name des Cafés in kyrillischen Buchstaben auf dem Schild und nicht in dieser grauenhaften Variante, für die man jemanden mit dem Duden verprügeln möchte. Das Ziferblat gehört zu diesen Cafés, die so hipp sind, dass sie selbst junge Leute wie mich im ersten Moment völlig überfordern. Ich war nun schon mehrere Male dort, habe das System aber noch immer nicht komplett durchschaut. Inzwischen bin ich mir recht sicher, dass es sich in Abhängigkeit von der Person, die grade zuständig ist, ändert. Irgendwie kann man für die Zeit oder die Getränke zahlen. Wenn man den Künsten der Barista nicht vertraut, kann man sich hinten in der Küche seinen Kaffee auch selbst machen. Dann ändert sich aber irgendwie der Tarif. Ach, was weiß denn ich. Eigentlich ist es mir auch egal, ob ich nun für Kaffee, Zeit oder das Theater drum herum bezahle, wichtig ist für mich nämlich nur eines: ich möchte einen Platz im Raum der Wünsche haben, der aussieht, als würde jeden Moment Dumbledores Armee auf der Flucht vor Professor Umbridge hereinkommen. Zu meinem großen Glück sind sowohl Melle als auch Leo ebenfalls riesige Harry Potter Fans und teilen damit auch meinen Enthusiasmus für das Café Ziferblat. Jackpot. Nach 59 Minuten zahlen wir zu einem wohl sehr vorteilhaften Kaffee-Zeit-Geld-Wechselkurs unsre Getränke und ziehen weiter.
Auf dem Weg zum Sukhbaatar Platz rennen wir in eine kleine und extrem gut gelaunte „he for she“ Demo, die dabei ist wild auf Mongolisch ihre Parolen zu skandieren. Als man uns drei offensichtlich europäische Frauen sieht, wird fix zu englischen Parolen gewechselt, wir schließen uns ihnen an, ich bekomme einen der unzähligen rosa Luftballons in die Hand gedrückt und nach 50 Metern ist der Spaß wieder vorbei. Mit einer gekonnten Zopfgummi-Konstruktion befestige ich den Luftballon an meinem Rucksack und wir biegen auf den Sukhbaatar Platz ein. Dort ist eine kleine Bühne aufgebaut und fast alle Menschen rennen mit roten Mützen mit Öhrchen rum. An einem Stand am Rand der Veranstaltung, wo diese roten Strickmützen verkauft werden, frage ich nach, was es mit der Sache überhaupt auf sich hat. Irgendwie kommt mir das ganze bekannt vor, aber richtig zusammen kriegen ich die Hintergründe nicht mehr. Ein paar Minuten später habe ich eine Mütze gekauft und folgende Erklärung im Gepäck: Die Mützen sind ein Zeichen für eine Frauenbewegung, die sich für eine Stärkung der Frauenrechte, und damit auch der Menschenrechte, durch Kunst, Bildung und einen respektvollen Dialog einsetzt. Ihren Namen "Pussy Hat" hat die Mütze bekommen, um gegen Donald Trump's wohl bekannten und äußerst vulgären Kommentar „grab them by the pussy“ zu protestieren, um das Wort „pussy“ zu de-stigmatisieren und in ein Wort der Stärkung zu ändern und, um die Form der Mütze als „pussycat ears“ hervorzuheben. Auf ihrer Webseite beschreiben die Initiatoren ihr Projekt folgendermaßen:
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Die Ravenclaw hat ihre Bücher dabei, die Gryffindor ihren Löwen - Alltag in Hogwarts eben |
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Auch außerhalb des Raums der Wünsche ist das Ziferblat ganz hübsch |
Auf dem Weg zum Sukhbaatar Platz rennen wir in eine kleine und extrem gut gelaunte „he for she“ Demo, die dabei ist wild auf Mongolisch ihre Parolen zu skandieren. Als man uns drei offensichtlich europäische Frauen sieht, wird fix zu englischen Parolen gewechselt, wir schließen uns ihnen an, ich bekomme einen der unzähligen rosa Luftballons in die Hand gedrückt und nach 50 Metern ist der Spaß wieder vorbei. Mit einer gekonnten Zopfgummi-Konstruktion befestige ich den Luftballon an meinem Rucksack und wir biegen auf den Sukhbaatar Platz ein. Dort ist eine kleine Bühne aufgebaut und fast alle Menschen rennen mit roten Mützen mit Öhrchen rum. An einem Stand am Rand der Veranstaltung, wo diese roten Strickmützen verkauft werden, frage ich nach, was es mit der Sache überhaupt auf sich hat. Irgendwie kommt mir das ganze bekannt vor, aber richtig zusammen kriegen ich die Hintergründe nicht mehr. Ein paar Minuten später habe ich eine Mütze gekauft und folgende Erklärung im Gepäck: Die Mützen sind ein Zeichen für eine Frauenbewegung, die sich für eine Stärkung der Frauenrechte, und damit auch der Menschenrechte, durch Kunst, Bildung und einen respektvollen Dialog einsetzt. Ihren Namen "Pussy Hat" hat die Mütze bekommen, um gegen Donald Trump's wohl bekannten und äußerst vulgären Kommentar „grab them by the pussy“ zu protestieren, um das Wort „pussy“ zu de-stigmatisieren und in ein Wort der Stärkung zu ändern und, um die Form der Mütze als „pussycat ears“ hervorzuheben. Auf ihrer Webseite beschreiben die Initiatoren ihr Projekt folgendermaßen:
A global women’s movement, created almost overnight. Millions of women, men and children at over 600 rallies in countries touching virtually every continent. Young and old, rich and poor. Educated and not, religious and secular. Straight and LGBTQ, every race and color. All wearing hand-made, knitted caps on a single day, awash in a sea of pink, arm-in-arm in solidarity for women’s rights and in protest against the rhetoric used toward women and minorities in the previous year’s state and federal elections.
In Ulan Bator hat sich vor dem Internationalen Frauentag eine Runde von Frauen und Männern zusammengetan und gemeinsam Dutzende dieser Mützen gestrickt, die sie nun neben der Bühne verkauft. Das eingenommene Geld kommt ihrer Arbeit zur Stärkung der Frauenrechte in der Mongolei zu Gunsten. Das unterstütze ich gerne! Und ganz nebenbei hat die Mütze noch einen äußerst praktischen Nebeneffekt - sie wärmt meine Ohren vor dem unglaublich kalten Wind…
Nach diesem politischen Ausflug steuern Melle, Leo und ich weiter auf unser Ziel, das Dsaisan-Denkmal, zu. Unbedingt weit kommen wir aber nicht, wir stoppen nämlich unweit des Sukhbaatar Platzes an einem Ramen-Restaurant und entscheiden, dass es Zeit für ein anständiges Mittagessen ist. Im Restaurant zaubert uns ein Clown zu Ehren unseres Tages jeweils eine Rose hinter seinem Rücken hervor und so treten wir pappsatt wenig später das letzte Stück unsrer Reise zum erklärten Ziel mit Luftballon, rot-glitzernder Mütze und drei Rosen, die aus Leos Rucksack gucken, an. Wenn man als Europäerin alleine durch die Stadt läuft, erregt man mit seinem exotischen Aussehen schon reichlich Aufmerksamkeit. Zu dritt, gut gelaunt und lachend und mit unseren Verzierungen in weiß, rosa und rot ist es aber schon fast ein Ding der Unmöglichkeit uns zu übersehen.
Am Dsaisan-Denkmal angekommen genießen wir die Aussicht über die Stadt, starten eine exzessive Fotorunde, vergessen uns über die historische Bedeutsamkeit des Ortes zu informieren und treten schließlich wieder den Rückweg an.
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Blick über die Stadt Richtung Nordosten. Auf den Hügeln hinter der Stadt sieht man das unermesslich wachsende Ger-Viertel |
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Melle, Leo und ... |
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... ich. Zusammen waren wir die Reisegruppe Luftballon! |
Am Dsaisan-Denkmal angekommen genießen wir die Aussicht über die Stadt, starten eine exzessive Fotorunde, vergessen uns über die historische Bedeutsamkeit des Ortes zu informieren und treten schließlich wieder den Rückweg an.
Diesmal machen wir aber nur einen Zwischenstopp. Der nah gelegene Fluss ist noch immer zugefroren und das Eis dick genug, um darauf zu laufen oder mit dem Auto rumzufahren. Während die Sonne alles in das wunderbare goldene Licht der Spätnachmittage hüllt, schlittern wir drei über das Eis und machen uns dann sehr müde, aber mit bester Laune auf den Weg nach Hause. Welch schöne Art den internationalen Frauentag zu verbringen!
Bayartai und liebe Grüße aus Ulan Bator
Mia
Mia
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