Es ist Samstagnachmittag, ich bin nicht verkatert, mein Zimmer und die WG sind nach einer zweistündigen Putzaktion sauber wie nie zuvor, ich sitze mit Kaffee und Laptop auf dem Bett und bin mit meiner Freizeit überfordert. Ich spiele mit dem Gedanken ein zweites Mal heute zu duschen - einfach, weil wir im Studiwohnheim nach über einer Woche endlich wieder warmes Wasser haben und man das ausnutzen sollte. Wer weiß schon, wie lange es diesmal dauert, bis das warme Wasser, das Wasser komplett, der Strom, das Internet oder alles auf einmal wieder weg ist. Es wäre schließlich nicht das erste Mal...
In den vergangenen Wochen ist hier jede Menge passiert, die ruhigen Tage sind vorbei, ich bin kaum zu Hause, das Leben macht Spaß, das Leben ist schön. Trotzdem soll der Blog nicht völlig in Vergessenheit geraten, weswegen es heute einen Bericht der letzten sechs Wochen in Schrift und Bild gibt.
ENDE MÄRZ
So sehr ich die Mädelsrunde mit Leo und Melle genieße, so sehr vermisse ich es Jungs um mich herum zu haben - das Physikstudium prägt! Nachdem ich Leo im weitesten Sinne über die Zeitung und Melle über Jodel kennengelernt habe, dürfen nun die nächsten Internetplattformen und Apps ihr Potential unter Beweis stellen.
Die Antwort auf die Frage, auf welche Weise man am besten Männer kennenlernt, ist einfach: Tinder! Tinder ist in der Mongolei nicht annähernd so groß wie in Europa und die Männer, die einem vom Algorithmus vors Auge gespült werden, sind hauptsächlich Reisende und Expats, also Menschen, die für längere Zeit in der Mongolei wohnen und arbeiten. Die Absichten beim Tindern in der Heimat und im Ausland sind recht unterschiedlich. Während man in der Heimat Tinder selten mit dem Gedanken öffnet neue Freunde zu finden, tut man im Ausland genau das: man sucht Leute mit Freundschaftspotential. Was sich sonst noch so ergibt, kann jeder selbst entscheiden und steht auf einem anderen Blatt. Meine mongolische Tinder-Karriere startet erfolgreich - gleich am ersten Tag matche ich unter anderen zwei Blondschöpfe, schreibe nett mit dem einen und lasse den anderen links liegen. Drei Wochen später findet bei Melle in der WG eine riesige Party statt und ich lade Manfred, den einen Blondschopf, ein dazuzukommen. Allerdings kreuzt Manfred nicht alleine auf, sondern hat noch seinen Zimmerkollegen Lukas im Schlepptau. Die Runde stellt sich vor, man schnackt ein bisschen und ich wundere mich, weil Lukas mir so bekannt vorkommt. Irgendwann kommt raus, dass Lukas der andere Tinder-Blondschopf ist. Ich lache, schüttle den Kopf über die Absurdität und gratuliere mir selbst zum Tinder-Erfolg.
Am selben Abend lerne ich noch Max, Melles neuen Kollegen bei der Konrad-Adenauer-Stiftung, und unzählige andere junge Menschen kennen, die bei Botschaften arbeiten, Deutsch oder Englisch unterrichten oder anderweitig in der Mongolei beschäftig sind.
APRIL
Auf seinem Flug in die Mongolei hat Max vergangene Woche Marie und Martin kennengelernt und an einem Dienstag Anfang April treffe ich mich mit den dreien und Melle in der Green Zone. Wir schnacken in lockerer Runde, trinken das ein oder andere Bier und stellen belustigt fest, dass der Anfangsbuchstabe M stark vertreten ist. Gemeinsam gründen wir den deutschen Stammtisch und die Gruppe Magic Ms, bekommen allerdings schon wenig später ein Problem mit den Namen, weil Manfred und Lukas in die Green Zone stolpern, sich zu uns gesellen, Deutsch sprechen, aber aus Österreich und nicht aus Deutschland kommen und dann auch noch ein L in die Runde schmeißen.
Bis zur folgenden Woche hat sich der Stammtisch ordentlich rumgesprochen und gut und gerne 15 Leute sitzen dienstags in der Green Zone beisammen und man beschließt am kommenden Wochenende mit einigen Leuten spontan aufs Land zu fahren.
Spätestens am Donnerstag habe ich mir den Spitznamen Tinderella mehr als verdient, als ich Moritz, den nächsten Deutschen und das nächste M, auf Tinder matche. Er fragt mich, was man in und um Ulaanbaatar so anstellen kann und was sehenswert ist. Ich erzähle ihm von diesem und jenem, davon, dass ich am Wochenende mit einer neu zusammengewürfelten Gruppe aufs Land fahre und nach kurzer Rücksprache mit dem Rest der Reisegruppe frage ich, ob er nicht Lust hat mitzukommen. Wir wollen ein bisschen wandern, im Ger übernachten und am nächsten Tag ausreiten. Moritz meint, dass er echt Respekt vor Pferden hat und auch gar nicht reiten kann. Ich meine, dass niemand von uns reiten kann und dann meint Moritz, dass er dabei ist.
Während Melle und ich am Freitagabend Leos Abschied feiern und noch einen letzten Abend im 12. Stockwerk mit Blick über Ulaanbaatar verbringen, zieht Moritz mit Manfred, Lukas und ein paar anderen los und hat das wohl beste Tinderdate seines Lebens.
Samstagmittag fahren wir zu siebt zu Saraa's Ger Camp in den Terelj Nationalpark. Mit dabei sind Manfred, Lukas, Moritz, Max, Laura, Melle und ich. Die Runde ist entspannt und bester Laune, freut sich auf die gemeinsame Zeit und ist sich bei Einkauf sehr einig, welches Wodka-Wasser Verhältnis man für einen Abend und sieben Leute braucht. Als Lukas Musik durch unseren privaten Bus dröhnt, kommen dann aber doch die ersten Meinungsverschiedenheiten zu Tage. Schlager, wer um alles in der Welt hört denn Schlager?? Melle, Lukas und Moritz in jedem Fall sehr gerne...
Kurz nachdem wir an der riesigen Dschingis Khan Statue vorbeigefahren sind, verlässt unser Fahrer die Straße und die Fahrt geht off-road weiter. Eine knappe halbe Stunde folgen wir irgendwelchen Autospuren durch unwegsames Gelände in die Steppe, passieren kleine Ger Camps hier und da und kommen schließlich am Ziel an. Es ist später Nachmittag als wir in Saraa's Ger Camp am Fuß einer kleinen Bergkette ankommen. Der Tuul, der heilige Fluss der Mongolen an dessen Ufer das Camp liegt, ist noch gefroren und obwohl die Sonne Mitte April schon recht hoch steht, liegt das Camp bereits im Schatten. Saraa begrüßt uns, zeigt uns unsere beiden Gers und den Rest des Camps. Bis zum Abendessen vertreten wir uns die Füße und was ein gemütlicher Spaziergang durch die nähere Umgebung werden sollte, endet in den Augen mancher in einer kleinen Wanderung.
![]() |
Das Reiterstandbild von Dschingis Khan ist insgesamt 40m groß und besteht aus 250t Edelstahl. Dort, wo es 2008 errichtet wurde, hat Dschingis Khan einer Legende nach eine goldene Gerte gefunden. |
![]() |
"Hey Mamma, kann ich dich später zurückrufen? Ich steh grade in der Steppe." |
![]() |
Selbst Ende April ist der Tuul noch komplett gefroren und man kann mit den Pferden über den Fluss reiten. |
![]() |
In einem Ger gibt es reihenweise Regeln, wer sich wie und wo bewegen darf. Vor dem Ger zu sitzen und die Sonne zu genießen ist dagegen ziemlich unkompliziert. |
![]() |
Man nehme eine unheimlich weiche Schnauze... |
![]() |
...ein Paar flauschige Ohren... |
![]() |
...friedliche Augen... |
![]() |
...und fertig ist das Pferd. |
Pünktlich zum Abendessen sind wir zurück im Camp und so mongolisch wie der Abend mit Zöwin als Gericht anfängt, so mongolisch verläuft auch der Rest des Abends und der Nacht. Das Frühstück am nächsten Morgen lassen zwei von uns am nächsten Morgen ausfallen, ziehen stattdessen noch eine liegende Position vor und mit leichter Panik stellen wir fest, dass wir uns beim Wodka-Wasser Verhältnis zwar einig waren, dass es aber offensichtlich in vielerlei Hinsicht das falsche Verhältnis war. Als Gaby, eine Schweizerin, die ihrer Heimat langfristig den Rücken gekehrt hat, gegen zehn Uhr ins Ger kommt und fragt, ob wir uns dann langsam mal in den Sattel schwingen wollen, ist hier und da ein verzweifeltes Stöhnen zu hören. Wir lassen also einer anderen Reisegruppe den Vortritt und machen uns auf die Suche nach Wasser zum Trinken und Waschen.
![]() |
Angebadet! |
Spätestens nach dem Mittagessen sind wir dann alle wieder halbwegs fit und bereit uns aufs Pferd zu schwingen. Da stehen wir zu siebt und auf Gabys Frage, wer von uns reiten kann, bleibt es ruhig. Gaby lacht. Ihre beiden Helfer lachen. Einige von uns lachen. Einige berichten, dass sie gerne einen Helm hätten. Auf Gabys Frage, wer schon einmal auf einem Pferd saß, melden sich immerhin vier Leute. Gaby lacht. Ihre beiden Helfer lachen. Einige von uns lachen. Einige berichten, dass sie gerne das langsamste Pferd hätten. Nicht unerhebliche Zeit später sitzen wir alle auf einem Pferd, haben die Zügel in die Hand gedrückt bekommen, aber absolut keine Ahnung, was wir damit machen sollen. Gaby reitet vorneweg, vier Pferde folgen ihr, drei haben ihren eigenen Kopf. Max Pferd bleibt stehen und macht nicht den Eindruck, sich jemals bewegen zu wollen. Lukas Pferd läuft den anderen erst hinterher, entscheidet sich dann aber auf halbem Weg über den Hof doch wieder zurück an seinen Standplatz zu gehen. Mein Pferd wählt die Option im wilden Galopp über den Hof zu rennen und die Hühner aufzuschrecken. Läuft. Wenig später haben wir es geschafft: alle haben das Camp verlassen, niemand ist vom Pferd gefallen und langsam kommt Ruhe in die Gruppe. In den nächsten zwei Stunden reiten wir gemächlich über die Hügel, lassen uns im Trab ordentlich durchschütteln und galoppieren durch die Steppe. So muss sich Freiheit anfühlen!
![]() |
Die Reisegruppe hoch zu Ross: Laura, Manfred, einer unserer Begleiter, Moritz, Melle, ich, Lukas und Max |
Man mag sich wundern, warum in der Mongolei unerfahrene Menschen einfach so auf ein Pferd gesetzt und ihnen die Zügel in die Hand drückt werden. Damit es aber beim Wundern bleibt und niemand voreilig Schlüsse zieht, gibt's in den Lach- und Sachgeschichten noch ein paar Worte zu dem Thema zu lesen.
Als wir später am Nachmittag wieder vom Pferd steigen, läuft niemand so wirklich rund und wir sind alle müde und kaputt, aber sehr zufrieden. Nachdem wir uns von Gaby, Saraa und den anderen verabschiedet haben, geht es mit dem Bus zurück nach Ulaanbaatar. Gemeinsam essen wir noch eine Kleinigkeit in der Green Zone, aber weil fast alle am Tisch einschlafen, lösen wir die Runde schnell auf und machen uns auf den Weg nach Hause. Dusche und Bett rufen!
In der folgenden Wochen bin ich kaum zu Hause. Bei Naturschutz gibt es sämtliche neue Kurse und ich habe auf der Arbeit alle Hände voll zu tun. Am Abend trifft man sich hier auf ein Bier und dort auf eine Kleinigkeit zu Essen oder beides. Bevor Moritz weiter nach Russland reist, ziehen wir alle zusammen noch einmal los und tun eines der mongolischsten Dinge, die man nur machen kann: wir singen Karaoke. Im Fall unsrer Gruppe muss man das Wort "singen" allerdings stellenweise wirklich sehr flexibel betrachten.
Inzwischen hat der Frühling auch in der Mongolei Einzug erhalten. Während man den Frühling im Großteil der Welt mit der Farbe grün assoziiert, ist er hier eher sandbraun. Frühling in der Mongolei bedeutet nämlich, dass starker Wind aufkommt. Sand und Staub, die durch die ewige Trockenheit auf allen Oberflächen liegen, werden aufgewirbelt und durch die Straßen geweht. Obwohl die Temperaturen tagsüber manchmal schon an den 20 Grad kratzen, sind die Menschen wegen des Windes dicker eingemummelt als im Winter. Mütze, Sonnenbrille, die Jacke bis obenhin zugezogen und einen Schal um Mund und Nase gewickelt - nicht unbedingt das, was man sich von dieser Jahreszeit erwartet. An manchen Tagen stehe ich im Büro am Fenster und kann kaum bis zur nächsten Straßenecke sehen, muss mir nach einem kurzen Gang zum Supermarkt um die Ecke Hände und Gesicht wasche und kann die Jeanshose nach einem Tag in die Wäsche schmeißen, weil sie vor Dreck steht. Mit Beginn des Frühlings hat die Stadt aber auch begonnen alle Beete in und um die Stadt herum zu bewässern und so langsam sprießt hier und da das Grün. Meist ist es zwar Unkraut, aber selbst dessen Anblick erfreut einen, wenn man seit Monaten nur karge Landschaft gesehen hat. Zum Ende des Mais hin soll der Wind nachlassen und dann kommt der Sommer, auf den sich alle so freuen. Sommer in der Mongolei bedeutet nämlich, dass es endlich endlich endlich regnet - ich kann es kaum erwarten!
Bayartai und liebe Grüße
Mia
Kommentare
Kommentar veröffentlichen