Mit einer Pferdestärke durch die Steppe



So stark wie man Deutschland im Fußball, Autos und Bier assoziiert, so stark assoziiert man die Mongolei wohl mit Pferden. Oder mit Dschingis Khan und damit dann eben im nächsten Gedanken mit Pferden. Wie man es dreht und wendet, an Pferden kommt man in der Mongolei einfach nicht vorbei.
Während wir im April im Terelj Nationalpark ausgeritten sind, habe ich mich eine Weile mit Gaby über die mongolische Pferde unterhalten - das kam dabei raus:

Die Menschen in der Mongolei waren und sind auch heute noch immer in großer Zahl Nomad*innen und das Pferd ist seit eh und je ein treuer und sehr nützlicher Begleiter. Nützlich, ja. In Kulturen, die wenig bis gar nicht vom nomadischen Leben geprägt sind, ist das Pferd in den vergangenen Jahrzehnten mehr und mehr vom Nutz- zum Haustier geworden. Bei uns haben Pferde Stauballergien, vertragen sich mit dem Pferd aus der Box nebenan nicht, bekommen Ausschläge vom Müslifutter und haben Heuschnupfen. In der Mongolei stehen die Pferde das ganze Jahr im Freien und suchen sich ihr Futter selbst.



Früher sind die Nomad*innen zweimal im Jahr umgezogen. Im Herbst, wenn die Nächte wieder kalt und die Wiesen karg werden, hat man das Ger zusammengepackt und ist ins Winterquartier in den Schatten der Berge gezogen. Dort gibt es Heu zum Zufüttern und Schutz vor Wind und Schnee. Im Frühling, bevor die ersten Stuten ihre Fohlen bekommen, ist man dann wieder in die Nähe der Flüsse gezogen, um das Vieh tränken zu können. Heute bleiben viele Nomad*innen das ganze Jahr am gleichen Ort und treiben nur die Stuten und Jährlinge in die Winterquartiere. In den Wintermonaten verlieren die Pferde fast 30% ihres Körpergewichtes, weil das Futter knapp und der Winter harsch ist. Mitte, Ende April kommen die Pferde aus dem Winterquartier zurück, die Stuten bringen ihre Fohlen zur Welt und manche Jährlinge werden zugeritten und für Nadaam trainiert. Stuten werden in der Mongolei kaum geritten. Im Frühling und Sommer sind sie damit beschäftigt sich ihre über den Winter verlorenen Energiespeicher wieder anzufuttern, gleichzeitig ihre Fohlen aufzuziehen und zusätzlich werden sie von den Nomad*innen noch gemolken, um das mongolische Nationalgetränk Airag (vergorene Stutenmilch) herzustellen.

Ende des Winters kann man selbst durch das dicke Winterfell die Rippen erkennen. Bis zum Ende des Sommers stehen die Pferde aber wieder gut im Futter.

Das mongolische Pferd ist recht klein und gedrungen, hat kurze aber sehr kräftige Beine und einen großen Kopf. Eigentlich müsste es mit seiner geringen Höhe (<142cm) zu den Ponies zählen - tut es aber nicht. Die Mongolei ist das Zuhause der Przewalskipferde und lange Zeit hat man gedacht, dass das mongolische Pferd vom Przewalskipferd abstammt, was sich letztendlich als Irrtum herausgestellt hat. Man hat aber herausgefunden, dass das mongolische Pferd wohl ein Vorfahre der isländischen Pferden, der norwegischen Fjordpferde und sämtlicher Ponyrassen ist, die auf den britischen Inseln zu Hause sind.
Im 12. Jahrhundert, als Dschingis Khan mit seinen Volk in Europa eingefallen ist, hatten seine Reiter je drei bis 20 Pferde dabei, um immer ein frisches und erholtes Tier reiten zu können. Zwar sind die mongolischen Pferde ihren Gegnern in Größe und Schnelligkeit häufig unterlegen gewesen, jedoch sind sie unfassbar ausdauernde, anspruchslose, robuste und vor allem loyale Tiere. Es heißt Pferd und Reiter hatten ein so enges Verhältnis, dass die Pferde auf den Pfiff ihres Reiters gekommen und ihm wie Hunde überall hin gefolgt sind. Vermutlich sind einige der Pferde nach den Plünderungen in Europa geblieben und nun die Vorfahren sämtlicher europäischer Ponyrassen. Dschingis Khan ist also Schuld - nicht, dass das jetzt überraschend käme.
Nur manche der Pferde, die für Rennen trainiert werden, bekommen in der Mongolei einen richtigen Namen. Als Gaby sich mit ihren Helfern besprochen hat, wer von uns welches Pferd reiten soll, haben sie die Pferde nur bei ihrer Fellfarbe genannt. Kaum ein Pferd gleicht hier dem anderen, es gibt alle Fellfarben, alle Zeichnungen, große Pferde, kleine Pferde, welche mit stehender Mähne, welche mit Strähnchen, welche mit einem Strich über den Rücken, …
Die Pferde hier haben selten einen eigenen Sattel, geschweige denn eine Maßanfertigung. Große Pferde bekommen einen großen Sattel, kleine Pferde einen kleinen Sattel und fertig ist die Geschichte. Für Touristen bekommen die Pferde Ledersättel in allen erdenklichen Formen auf dem Rücken geschnallt, die Nomad*innen reiten in den traditionellen Holzsätteln. Als wir im Schritt ins Gelände reiten, beneide ich Gaby um ihren umgepolsterten Holzsattel wenig. Als wir später in den Trab verfallen, ändert sich das ganz schnell.
Zwar bewegen sich die Tiere unglaublich sicher über Stock und Stein, mit ihren kurzen Beinen und den kleinen Schritten ist der Trab aber alles andere als angenehm. Zu schnell, um jeden zweiten Schritt aufzustehen und zu holprig, um auszusitzen. Die Lösung: im Sattel stehen. Die Holzsättel sind vorne und hinten recht weit hochgezogen und geben einem Halt, wenn man im Sattel steht, die Ledersättel nicht und so muss man Stehen, sich mit den Beinen festhalten und irgendwie die Geschichte noch ausbalancieren. Muskelkater ist hier vorprogrammiert!
Reiten in der Mongolei ist keine Kunst: die Steigbügel sind kurz, die Hacken nach hinten und oben gezogen und anders als im Westen wird hier nicht mit Gewichtsverlagerung oder feinen Hilfen gearbeitet. Zum Treiben wird je nach Pferd mehr oder weniger energisch „Dschuu“ gerufen, dazu gibt es einen Tritt mit den Hacken in den Bauch und ab geht’s. Soll es nach rechts gehen, zieht man am rechten Zügel, soll es nach links gehen, zieht man am linken Zügel. Zum Bremsen wird an so lange an den Zügeln gezogen, bis das Tier eben anhält. Viel falsch machen kann da selbst als absoluter Anfänger nicht. Was grob und schmerzhaft klingt, ist halb so wild. Die Pferde kennen es schlichtweg nicht anders und werden schon so zugeritten.

 


Als ich Gaby sage, dass ein sie kennen es halt nicht anders ja auch irgendwie keine Entschuldigung für den Umgang ist, stimmt sie mir zu. Man darf aber eben nicht vergessen: die Menschen in der Mongolei haben ein ganz anderes Verhältnis zu ihren Pferden als wir im Westen, in der Mongolei sind Pferde reine Nutztiere. Werden sie grade nicht geritten, sind sie frei und wie Wildpferde in der Steppe unterwegs. Sie sind charakterstark, testen gerne ihre Grenzen, haben einen verdammt starken Willen und jede Menge Ausdauer, wenn sie ihren Kopf durchsetzen wollen. Kurzum, mit ein bisschen Beinhilfen und Zügellupfen kommt man da einfach nicht weit. Je älter die Pferde werden und je regelmäßiger sie geritten werden, desto ruhiger, entspannter und zutraulicher werden sie, gewöhnen sich an die Menschen und werden empfänglicher für Hilfen. Das hat nichts mit einem gebrochenen Willen zu tun, sondern ist reine Gewöhnung und die Erkenntnis, dass sie vor den Menschen eigentlich keine Angst zu haben brauchen.
Das alles macht die Art zu Reiten zwar auch nicht besser, aber man hat als Reiter*in ja immer noch die Wahl zwischen grobem Zügelgezerre und bestimmtem Zügelziehen - und letzteres führt genau so zum Ziel!

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