#12 Die Reise zum Mittelpunkt der Mongolei

Eigentlich dachte ich, dass Pappa und Mette Sonntagmorgen in Ulaanbaatar ankommen. Dann hat sich herausgestellt, dass die beiden Sonntag in Deutschland abfliegen, also erst Montagmorgen in Ulaanbaatar ankommen.
Eigentlich dachte ich, dass nichts schief gehen kann. Dann hat sich herausgestellt, dass das Wetter einem durchaus einen Strich durch die Rechnung machen kann. Bis Pappa und Mette also in Deutschland loskommen, ist es in Montagmorgen und bis sie dann in Ulaanbaatar landen, ist es hier schon Dienstagmorgen.
Eigentlich dachte ich, dass sie mit Flugnummer OM136 kommen und stehe pünktlich um zwanzig vor sechs am Flughafen. Dann hat sich herausgestellt, dass es die falsche Flugnummer ist und bis ich Pappa und Mette dann endlich in die Empfangshalle kommen sehe, ist es Dreiviertel neun.
Welch fulminanter Start! Wen stört das aber schon, wenn man seine Schwester nach 277 Tagen endlich wieder sieht?!



In Ulaanbaatar ist in den vergangenen Tagen die Welt zwei-, dreimal halb untergegangen. Es hat wie aus Kübeln gegossen, den ganzen Tag über gewittert und der Wind ist mit beachtlicher Geschwindigkeit durch die Straßen gefegt. In Kiel hätte man gelächelt und sich vielleicht dazu durchgerungen die Wäsche von der Leine zu nehmen, in Ulaanbaatar ist man auf solches Wetter jedoch nicht vorbereitet und so standen die Straßen tagelang unter Wasser und Eimer zum Auffangen des von den Decken tropfenden Wassers sind nirgendwo in der Stadt mehr zu bekommen. Das Flugzeug, das Pappa und Mette nach Ulaanbaatar bringen sollte, ist wegen des Wetters also gar nicht erst nach Deutschland geflogen. Und so haben wir am Ende nur elf Tage zu dritt.
Nach zwei Tagen in der Stadt geht es dann endlich raus aufs Land und damit in die richtige Mongolei. Für alle, die gerne vorab wissen möchten, wie ihre Reise in die Mongolei aussehen wird, gibt es die Möglichkeit über Reiseagenturen schon in Deutschland Touren zu buchen - für die man natürlich entsprechend tief in die Tasche greifen muss. Für alle, die es etwas authentischer haben möchten, ist Facebook die Antwort. Es gibt zein paar Gruppen, in denen sich mongolische Reiseführer*innen und Agenturen und Reisende treffen. Jetzt in der Hauptsaison geht in den Gruppen die Post ab - Agenturen preisen ihre Touren an, Reisende erzählen von den Orten, die sie gerne sehen möchten und suchen Guides für ihr Vorhaben und Mitreisende, um das Auto voll zu kriegen und damit den Preis pro Person zu minimieren. Zwischendrin turnt immer noch ein Vogel rum, der Werbung für eine Safari in Tansania macht oder irgendetwas für den Schwager eines Cousins dritten Grades verkaufen will. Facebook eben.
Im Mai war Inga mit Suvd und Ganaa vom Family Guesthouse in Kharkhorin auf  einem 5-tägigen Wanderritt zu den achten Seen unterwegs und hat nur Gutes berichtet und so brechen auch Pappa, Mette und ich guten Gewissens mit den Leuten vom Family Guesthouse in die Zentralmongolei auf. Wir treffen uns morgens um acht mit Suvd am State Department Store und Pappa und Mette staunen nicht schlecht, als Suvd uns zu einem Prius lotst. Im Gegensatz zu meinen Gästen bin ich in den letzten Monaten schon des öfteren von der Geländetauglichkeit des Prius überzeugt worden und habe eigentlich auch nichts anderes erwartet - anders als Pappa und Mette, die eher einen Land Rover oder ein anderes Auto dieser Art vor Augen hatten, als wir über die Route für die nächsten Tage gesprochen haben. Keine 100 Kilometer hinter Ulaanbaatar ist dann unerwarteter Weise auch erst einmal Schluss mit asphaltierter Straße. Der Regen in den vergangenen Tagen hat in der Nähe von Bayankhangai die komplette Straße weggespült und die Häuschen links und rechts der Straße, wo Luki, Manfred und ich uns vor drei Wochen noch mit Khuushuur und Milchtee gestärkt haben, gleich auch noch mitgenommen. Neben der eigentlichen Straße geht es also off-road weiter und in Ermangelung einer richtigen Piste fahren einfach alle dort, wo es am besten aussieht. Das Gelächter ist groß und die ungläubigen Augen von Mette und Pappa noch ein bisschen größer. Zwar habe ich beiden schon mehr als einmal von den Pisten in der Mongolei erzählt, aber es selbst zu erleben ist wohl noch einmal ein ganz anderer Schnack. Als wir von einem pinken Reisebus überholt werden, der mit Vollgas über die Piste brettert und somit sämtliche Schlaglöcher einfach überfliegt, schüttelt Pappa nur noch den Kopf, sowas hat er noch nie gesehen. Nach fünf Monaten in der Mongolei bin ich ziemlich abgehärtet, ja diesbezüglich fast schon etwas abgestumpft, und Dinge, wie der pinke Reisebus, irritieren mich kaum noch. Umso lustiger ist es für mich Mettes und Pappas Verwunderung zu erleben und damit an die normale Welt erinnert zu werden, wo Straßen erst gar nicht weggespült werden. Am frühen Nachmittag erreichen wir unsren ersten Stop, das Kloster Erdiin Khambiin. Obwohl man in buddhistischen Tempeln eigentlich nicht fotografieren sollte, ermutigt mich die Dame, die sich um die kleine Tempelanlage kümmert, wenn keine Mönche da sind, dazu, ein paar Bilder zu knipsen. Unter anderen Umständen hätte ich wohl abgelehnt, aber der Temple ist zu schön, um es nicht zu tun. 






Nach einer kurzen Verschnaufpause im Meditierraum steigen wir wieder ins Auto, sprechen der Klimaanlage Liebeserklärungen aus und fahren die holprige Piste zurück zur Straße. Unser Lager für die Nacht ist ein kleines aber feines Ger-Camp auf einem Hügel hinter Mongol Els, den Sanddünen, die sich in nordsüdlicher Richtung fast 200 Kilometer durchs Land ziehen. Wir sind alle drei ordentlich müde vom ersten Tag und legen uns nur für ein kleines Nickerchen hin - was wenig verwunderlich in einen ausgedehnten Vor-Abend-Schlaf ausartet. Das Programm für den Tag ist allerdings noch nicht um und so zuckeln wir noch halb schlafend auf Kamelen den Hang hinab, durch kleine Bäche und in Richtung der Dünen. Im Sommer wimmelt es zwischen den Dünen nur so von kleinen Mücken, die die Kamele überhaupt nicht mögen und die sie ziemlich nervös machen. Richtig durch die Dünen reiten wir auf den Trampeltieren deswegen nicht und so machen Pappa, Mette und ich uns später noch einmal auf den Weg hinunter zu den Dünen und gucken uns den Sonnenuntergang mit sehr wüstigem Gefühl an. 






Nicht lange nachdem die Sonne untergegangen ist, zieht sich der Himmel zu. Bis wir zurück im Camp sind, weht uns schon den Sand ins Gesicht. Die Ziegen und Kühe stört das weniger...

Schon früh am nächsten Morgen haben wir alles zusammengepackt und wieder im Auto verstaut. Suvd verabschiedet sich noch schnell von dem alten Nomaden-Ehepaar, in deren Camp wir geschlafen haben und in das Suvd und ihr Mann Ganaa schon seit über zehn Jahren mit ihren Gästen kommen, dann fahren wir weiter Richtung Kharkhorin. Kharkhorin ist die alte Hauptstadt der Mongolei, wider Erwarten sieht man das außer an ein paar wirklich sehr verkommenen Ruinen aber nirgendwo. Spannend ist der Ort trotzdem, denn am Rande der kleinen Stadt steht das Kloster Erdene Dsuu. Nachdem wir im Family Guesthouse bei Suvd und Ganaa gefrühstückt haben, fährt der Sohn der beiden mit uns rüber zum Kloster. In aller Ruhe gucken wir uns die Anlage an, lassen uns durch die wunderschönen und wirklich gut erhaltenen und restaurierten Tempel führen und die Geschichte des Klosters und die Bedeutung der Gottheiten und sämtlicher Symbole erklären. Nach einem Abstecher auf den Markt, auf dem Mette und ich im hintersten Winkel einen Second-Hand-Laden finden und begeistert uralte und mindestens genau so hässliche Sportjacken erstehen, geht es zurück zum Family Guesthouse.

Hier wird pragmatisch gedacht - warum einen Pferdehänger kaufen, wenn man problemlos vier Pferde auf einen Pick-Up bekommt?


Die Mauer umgibt die gesamte Klosteranlage. Heute sind nur noch wenige Tempel innerhalb der Klostermauer zu finden, früher waren es fast 100!


Am Nachmittag machen wir uns zusammen mit Suvd auf nach Norden zum Ögii See. Zuerst sind wir eine kleine Weile auf Asphalt unterwegs, dann geht es mit dem Prius wieder ins Gelände und wir werden einmal mehr von einem der großen und kribbelbunten Reisebussen überholt. Den ganzen Tag schon ist es diesig und die Luft steht unangenehm über der Steppe. Als wir über eine Hügel fahren, sehen wir den Ögii See unterhalb des Steilhanges und über ihm schwere Gewitterwolken hängen. Bis wir auf der Nordseite des Sees beim Ger-Camp, wo wir diese Nacht untergebracht sind, ankommen, hat es zwar ein bisschen genieselt und der Wind hat aufgefrischt, ansonsten ist das Gewitter aber vorbeigezogen. Wir gucken uns im Camp etwas um, stellen fest, dass wir die einzigen Touristen sind und abgesehen von der Familie auch sonst niemand weit und breit ist und beschließen dann kurzerhand ein Bad im See zu nehmen. Eine bessere Waschmöglichkeit wird sich in den kommenden Tagen wohl nicht bieten. Nicht unbedingt viel sauberer aber wesentlich frischer sitzen wir nach dem Abendessen vor dem Ger und versuchen uns mit Hunden und Pferden anzufreunden. Leider bleibt es bei dem Versuch und so verziehen wir uns eine Weile später etwas enttäuscht ins Ger, funktionieren das traditionelle mongolische Knöchelspiel „Schargai“ in ein Trinkspiel um und machen uns an unsren Wodkavorräten zu schaffen.

Als wir am späten Nachmittag am See ankommen steht die Luft unangenehm. Ähnlich wie wir suchen auch die Pferde im Wasser Abkühlung bis das Gewitter endlich kühle Luft bringt.






Bevor Suvd abends zurück nach Kharkhorin gefahren ist, haben wir gefragt, ob wir es am nächsten Morgen ruhig angehen lassen können und dann abgemacht, dass wir um neun Uhr am See aufbrechen. Als Suvds Schwager vor unsrem Ger steht, ist es kurz nach acht und Mette und ich liegen noch im Bett. Leicht irritiert und etwas verärgert darüber, dass Davka anfängt rumzustressen, machen wir uns fertig, packen unsren Kram ins Auto und fahren wieder um den See herum auf die Südseite. Wie steil der Berg ist, den wir am Tag zuvor einfach so runterfahren sind, wird uns bewusst, als der Prius nicht mehr vorwärts kommt und beginnt etwas Hang abwärts zu rutschen. Wir steigen also aus, lassen Davka den Wunder-Toyota alleine über den Berg bringen und genießen noch einmal die Aussicht über den See bei klarem Wetter. 



Danach geht es in einem Affenzahn wieder ins Family Guesthouse nach Kharkhorin, wo Suvd und Ganaa uns schon erwarten. Während wir uns über Omelett, Brot und Kaffee hermachen, wuseln Davka und Ovaa, unser Fahrer für den nächsten zwei Tage, zwischen den Gers des Family Guesthouses durch die Gegend und sammeln allerhand Dinge zusammen, die sie dann gemeinsam mit unsrem Gepäck im Kofferraum des alten, grauen Soviet-4WD verstauen. Vor allem Pappa ist mehr als begeistert, als er sieht, mit was für einem Gefährt wir uns nun auf den Weg ins Orkhon-Tal machen werden. Melle war vor einigen Wochen mit so einem Auto (wenn das überhaupt der richtige Begriff ist) im Norden der Mongolei unterwegs und nach den Geschichten, die sie von dem Trip erzählt hat, bin ich etwas skeptisch. Dass die beiden Jungs und der Mann von der Tankstelle später gemeinsam am Auto rütteln, damit mehr 80er Sprit in die beiden Tanks geht, sorgt nicht unbedingt dafür, dass meine Skepsis verschwindet. An der Zapfsäule neben uns stehen ein paar Kühe. Was genau die Tiere tanken, finden wir aber auch bis zu unserer Abfahrt nicht heraus. Bis Khujirt, dem Kurort, in dem ich Ende Januar mit meiner Gastfamilie war, fahren wir auf der Straße, dann biegt Ovaa plötzlich mitten ins Nirgendwo ab und fährt erst einmal durch einen Fluss. Wo der Prius vermutlich schon ersoffen wäre, muckt das alte Soviet-Auto kein bisschen. Alles klar okay, gutes Auto! Da soll noch einmal jemand sagen, ich wäre schwer zu überzeugen.
Während wir bergauf und bergab brettern, einen Bach hier, einen Fluss dort überqueren, und wegen Schafen, wegen Ziegen, wegen Pferden oder wegen Kühen bremsen, hole ich den Reiseführer aus der Tasche und schlage das Kapitel über die Zentralmongolei auf. Das Kapitel über das Orkhon Tal beginnt mit den Worten „Überhaupt gehören die gut 80 Kilometer von Khujirt bis zum Wasserfall zu den schlimmsten Pisten dieses an schlimmen Pisten nicht eben armen Landes“. Ich lache und lese das Kapitel laut vor. Pappa lacht, lässt in einem unaufmerksamen Moment den Griff über dem Fenster los und rutscht einmal quer die Bank entlang und sitzt plötzlich rechts im Bus. Mette gibt einen etwas gequälten Ton von sich und konzentriert sich weiter darauf, das Frühstück nicht rückwärts zu essen. Viel passiert den Rest des Tages nicht mehr. Wir sitzen im Auto, denken immer wieder okay, das kann das Auto nicht schaffen, das ist schlichtweg nicht möglich und lachen dann ungläubig, wenn Ovaa das Auto problemlos auch über dieses Hindernis gebracht hat. 


Ovaa, unser Fahrer, Davka, unser Guide, und das Soviet-Auto. Zu dritt sind sie eine (mehr oder weniger) vertrauenswürdige Kombination!



Fast 200 Kilometer später kommen wir in unsrem Ger Camp in der Nähe des Orkhon Wasserfalls an und stolpern reichlich benommen und etwas unkoordiniert, aber allesamt mit sehr guter Laune aus dem Auto. Während Davka uns hilft das Gepäck ins Ger zu verfrachten, ist Ovaa schon wieder dabei das Auto von Staub und Dreck zu befreien. Wir lassen Ovaa mit seinem Baby alleine und machen uns zusammen mit Davka auf den Weg hinunter zum Fluss und zum Wasserfall, klettern die etwa 20 Meter Steilhang hinunter und dann über die Steine hin zum Wasserbecken, in das der Wasserfall mit tosendem Lärm fällt. Zu unserem Glück hat es in den vergangenen Wochen viel geregnet und der Wasserfall ist so groß wie selten in der Saison. Von Oktober bis Mai ist der Wasserfall im besten Fall ein kleines Rinnsal und sehr unspektakulär, beginnt es Ende April allerdings zu tauen und etwas später dann auch zu regnen, führt der Orkhon genug Wasser und das Naturschauspiel ist perfekt! Am frühen Abend ist abgesehen vom Abendessen das Programm für den Tag beendet. Es hat endlich etwas abgekühlt und der Wind hat aufgefrischt und so mache ich mich mit meiner Kamera los und überlasse Mette und Pappa das Chillen ums Ger herum. Mette treffe ich eine Weile später unten am Fluss wieder und gemeinsam turnen wir auf den Steinen rum bis Davka auf einem Motorrad ankommt und sehr glücklich aussieht, dass er uns endlich gefunden hat. Er berichtet, dass das Abendessen so gut wie fertig ist und Pappa schon im Camp auf uns wartet. Er nimmt Mette auf dem Motorrad mit und braust zurück zum Camp. Als ich dort ankomme, stehen alle etwas ratlos herum und lachen - Pappa fehlt! Ein paar Minuten später entdeckt Ovaa ihn auf einem der Berge in der Nachbarschaft und so fährt Davka noch einmal los, um auch Pappa abzuholen. Gemeinsam mit der ganzen Familie, der das Ger Camp gehört, und Davka und Ovaa sitzen wir zum Abendessen im Ger beieinander und lassen uns die Suppe mit getrocknetem Fleisch und Nudeln schmecken.

Im Winter ist das Orkhon-Tal unbewohnt. Für die Sommermonate ziehen die Nomade mit Kind und Kegel ins Tal und weiden ihre Tiere auf den scheinbar endlosen Wiesen. Ein Ger ist schnell aufgebaut und wenn man den Job des Jungen hat und nur das Rad in der Mitte halten muss, ist es sogar recht entspannt








Abends sitzen Pappa, Mette und ich vor unsrem Ger, schnacken, gucken Bilder an, lachen über diese und jene mongolische Absurdität und albern mit den Kindern rum, die uns erst noch scheu aus der Entfernung beobachtet haben, nach und nach aber näher gekommen sind, bis die Neugier schlussendlich ganz gesiegt hat. Es ist fast elf Uhr, als die drei Männer am Ger klopfen und fragen, ob das Angebot von vorhin noch steht. Jo, steht noch, immer rein in die gute Stube. Wir sitzen also noch ein bisschen zusammen, trinken Wodka zusammen und Davka führt seine Künste in Kehlkopfgesang und diesem merkwürdigen Zungeninstrument vor, von dem ich immer noch nicht weiß, wie es heißt. Bis alle an diesem Abend schlafen, ist es schon ein gutes Stück nach Mitternacht.

Madame kam in unser Ger marschiert, hat sich den Apfel vom Tisch geklaut und ist wieder verschwunden. Eine Weile später hat sie ihn mir faaast zurückgegeben - in letzter Sekunde hat sie es sich doch anders überlegt und hat ihn behalten



Nachdem Pappa und Mette beide Aarol, den getrockneten Quark, nicht mögen, esse ich ihn immer alleine. Mit der Kleinen hier habe ich heute aber eine Aarol-Freundin gefunden! 

Am nächsten Morgen hat der ein oder andere Mann unserer Reisegruppe einen leichten Schädel und bis wir gefrühstückt haben, das Auto gepackt und auf Hochglanz poliert ist, ist es fast elf Uhr. Gefühlt noch schneller als am Tag zuvor fährt Ovaa durch das Orkhon Tal, interessiert sich irgendwann auch nicht mehr für die Piste, sondern brettert einfach querfeldein und lässt sich auch nicht von den Felsen stören, die überall aus dem Boden ragen. Als wir den Orkhon überquert haben, fährt Ovaa links ran, parkt die Soviet-Kiste am Flusslauf, schnappt sich einen Lappen und wischt hier und da, Davka pennt im Auto und Pappa, Mette und ich gucken etwas ratlos in der Gegend rum - Ovaa spricht kein Englisch. Irgendwann taucht ein junger Mann auf einem Motorrad auf und füllt nach einem kurzen Schnack zusammen mit Ovaa drei alte 5-Liter-Wasserkanister in den Tank unsres Auto. Dann geht die Fahrt weiter. Ich lache kurz, richtig verwundert über diesen Zwischenstopp bin ich aber irgendwie auch nicht. Am frühen Nachmittag erreichen wir unser letztes Ziel für diese Reise: Khotot Tuvkhun Khiid, eine Klosteranlage hoch in den Bergen. Drei Kilometer vom Parkplatz bis zum Kloster klingt eigentlich nach einem netten Spaziergang, bis wir allerdings oben angekommen sind, sind 3/4 unserer Gruppe schon tausend Tode gestorben. Ovaa ist unten beim Auto geblieben, vermutlich, um es mit Hingabe einmal mehr zu putzen. Oben angekommen sind wir uns alle einig, dass sich der Aufstieg gelohnt hat und, dass die Mongol*innen in ihrer Kindheit wohl einmal mehr hochgeworfen als gefangen wurden: Menschen jeder Altersklasse und jedes Fitnesslevels klettern mit ausgetretenen Badelatschen auf den Felsen herum, um irgendwie zu dem einen ganz bestimmten Ort zu kommen. Es wird sich auch nicht mit beiden Händen festgehalten, schließlich muss man irgendwie ja noch die Milchtüte balancieren, damit man den Göttern später noch eine Opfergabe darbringen kann. Den großen Ovoo, den Steinhaufen, den man auf jeder Bergspitze findet, schon im Blick, will ich mich auf die letzten Meter machen, als Davka mich zurückhält und auf ein Schild zu meiner Linken hinweist: Das ist ein heiliger Ort, der Zutritt ist Frauen verboten. BITTE WAS??? In den kommenden Minuten bin ich ein Musterbeispiel der 5-stüfigen Traumaverarbeitung, stehe wütend und äußerst empört vor dem Schild, überlege dann, mich um das Verbot nicht zu scheren und einfach hinzugehen, lachen dann vielleicht eine kleine Spur hysterisch und verfluche am Ende den Buddhismus, die Mongolei und pauschal einfach mal die Männer.
Als ich mich wieder beruhigt habe, tun Mette und ich es den Mongol*innen gleich und krabbeln noch in eine kleine Höhle, die sich „Mother’s Womb“ (Der Bauch der Mutter) nennt. Die ganze Höhle ist ungefähr zwei Meter lang, hat 60 Zentimeter Durchmesser und geht leicht abwärts in den Felsen hinein. Es heißt, wenn man vorwärts hineinkriecht, sich dann einmal nach links halb um die eigene Achse dreht und vorwärts wieder hinaus kriecht, man wieder geboren wird. Ich kriege es ganz gut hin, habe bei der Drehung aber schon so meine Schwierigkeiten. Mette ist gemessen an den Standardmongol*innen nun aber recht groß und verschwindet gar nicht ganz in der Höhle, ehe sie aus dem Hand-Schulter-Knie-Fuß-Chaos schon wieder auftaucht. Die Menschenmenge, die vor der Höhle ansteht, um es uns gleich zu tun, ist begeistert von Mettes und meinem Einsatz und beklatscht unsre Höhlenakrobatik. Wir schütteln unglaublich den Kopf, bilden uns ein, uns ein bisschen wiedergeboren zu fühlen und klettern dann die rutschigen Felsen wieder runter zu stabilem Boden.


Mette und ich nutzen die Zeit bis die Jungs morgens auf den Beinen sind und statten dem Wasserfall noch einen Besuch ab

Tank-Stop mit Aussicht





In netter Gesellschaft vergeht das Warten aufs Mittagessen viel schneller

Nach einer kleinen Mittagspause machen wir uns dann endgültig wieder auf den Weg zurück nach Kharkhorin. Der Weg ins Orkhon Tal war schon äußerst abenteuerlich, verglichen mit dem Rückkweg jedoch eine entspannte Spazierfahrt auf befestigter Straße.
Die Route ist simple: wir fahren am Orkhon entlang, bis wir in Kharkhorin sind. Nach und nach treten bei allen Beteiligten Ermüdungserscheinungen auf. Davkaa schläft trotz des unsäglichen Geholpers, die eine Tür des Kofferraums springt immer mal wieder auf und versorgt uns im Inneren mit einer ordentlichen Portion Staub, woraufhin wir anhalten, Ovaa den Staub wegputzt und die Tür wieder schließt, Mette interpretiert das Kinderlied „es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ neu und singt von klappernden Kofferraumtüren in ihrem Ohr und lässt verlauten, dass die Kühe am Wegesrand äußerst saftig aussehen - sie ist Vegetarierin. Pappa hängt wie ein Schluck Wasser in der Kurve, dotzt immer mal wieder mit dem Kopf an die Decke und kommt aus dem Lachen nicht mehr raus, ich bin damit beschäftigt, sämtlichen Kram, der durchs Auto fliegt zusammenzuhalten und verbrenne mir dann die Füße, weil irgendwas den Boden des Autos so aufgeheizt hat, dass man Spiegeleier darauf braten könnte. An die Tatsache, dass die Straße so schief ist, dass man aus meinem Fenster heraus nur das Wasser des Orkhon und aus Mettes Fenster heraus nur das Blau des Himmels sieht, haben wir uns recht schnell gewöhnt, wenn auch es nicht unbedingt zur Entspannung im Auto beiträgt. Spätestens als Ovaa uns bittet, für das nächste Stück aus dem Auto auszusteigen, dass er schlimmstenfalls alleine drauf geht, ist es Zeit für das alt bewährte Panik-Snickers und eine kurze Pause. 

Wie man ohne Karte, Kompass, Handy oder sonstige Hilfsmittel von A nach B kommt: immer am Fluss entlang. Straßen braucht kein Mensch!


Gute 160 Kilometer später kommen wir fix und fertig in Kharkhorin an, küssen den Boden, gehen duschen und machen uns dann hungrig vom Nichtstun über das Abendessen her - Suvd hat extra für uns Khuushuur gemacht! Auf der Suche nach einem kleinen Laden, wo wir ein Tagesabschluss-Bier und Eis bekommen, stromern Pappa, Mette und ich in der Dunkelheit noch ein bisschen durch Kharkhorin und leeren zurück im Hostel zusammen mit Davka und Elias, einem Spanier der mit dem Fahrrad auf ausgedehntem Weg nach Neuseeland unterwegs ist, das letzte bisschen unsrer Wodkaflasche, dann fallen wir müde und zufrieden ins Bett.
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen verabschieden wir uns von Suvd und steigen zu Ganaa, den beiden Töchtern und Davka, der auch zurück nach Ulaanbaatar zu seiner Familie muss, ins Auto. Im Khustain-Nationalpark machen wir noch einen Zwischenstopp, probieren die Murmeltiere zu zählen, die links und rechts vom Weg durch die Gegend flitzen und in ihren Höhlen verschwinden und machen uns nebenbei auf die Suche nach den Takhi, den Przewalskipferden (mongolische Wildpferde). Aus der Nähe können wir die Tiere leider nicht sehen, wegen der Wärme am Nachmittag haben sie sich weit hoch in die Berge verzogen, aber mit dem Fernglas können alle eine kleine Herde erkennen. Alle, außer Pappa.
Die letzten 100 Kilometer bis nach Hause ziehen sich wie Kaugummi. Ganaas eine Tochter verträgt die Fahrt auf der Piste im Nationalpark nicht und spuckt hinten im Auto fröhlich vor sich hin, der Motor des maximal beladenen Autos ist völlig überhitzt und schaltet nicht mehr hoch und dank des Schneckentempos, mit dem wir deswegen durch über die Straße kriechen, fahren wir pünktlich zur Rush-Hour nach Ulaanbaatar rein. Um 21 Uhr ist der Ausflug in die Zentralmongolei dann am Ende - und wir auch! 

Ein paar Tage bis zu Pappas Abreise bleiben uns noch. Wir gucken uns noch dieses und jenes in Ulaanbaatar an, schlendern über den Narantuul, den großen Schwarzmarkt, und fahren für einen Tag in den Terelj-Nationalpark, um die Höhle der 100 Mönche und den Schildkröten-Felsen anzugucken. Beide Orte habe ich im Winter schon einmal mit Leo und Melle besucht, nun sind wir aber mit Ganaa, dem Fahrer der deutschen Botschaft, unterwegs und er weiß auch noch reichlich über die Sehenswürdigkeiten zu berichten - da krieche ich gerne noch einmal in den kalten Felshöhlen herum! Die Tempelanlage Aryapala kenne ich allerdings noch nicht und so ist auch für mich noch ein bisschen was neues dabei. 

Ein Touri-Muss auf dem Weg in den Terelj Nationalpark: die riesige Dschinghis Khan Statue!


❤️❤️❤️

Ausblick vom Aryapala Tempel über den Terelj





Edelweiß (!!!) im zartem Griff meiner filigranen Hände

An unsrem letzten Abend zu dritt sitzen wir auf meinem schäbigen Balkon mitten in Ulaabaatar, lassen die letzten zwei Wochen Revue passieren und genießen den lauen Sommerabend. Samstagfrüh bringen Mette und ich Pappa zum Flughafen. Auf der Rückfahrt machen wir Pläne für die nächste Woche - Mette bleibt noch ein bisschen in Ulaanbaatar. Schwesternzeit, yes!

2 COOL 4 U

Bayrtai und liebe Grüße
Mia

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