Roadtrip #3

Montag, 20. Mai 2019

Lukis Holz-Rechnung vom Abend zuvor ist aufgegangen und als wir morgens aufwachen, hat unser Zimmer die perfekte Temperatur. Nice! Aus unerklärlichen Gründen bin ich die erste auf den Beinen und gucke mich draußen um. Ich schnacke mit der Besitzerin des Guesthouses, die grade auf dem Weg zur Arbeit ist, es aber nicht sonderlich eilig hat, schnappe mir dann meine Kamera und setze mich vors Haus in die Sonne. Nach und nach taucht der Rest der Reisegruppe auf. Während Luki dafür sorgt, dass Jacqueline eine neue Zündkerze bekommt und damit hoffentlich aufhört zu zicken, bereiten Melle, Manfred und ich das Frühstück vor, kochen Kaffee und kriegen uns über die Art, wie man Rührei macht, kurz in die Haare (wer verrührt die Eier denn bitte erst in der Pfanne??? Das macht man vorher!). Wenig später sitzen wir zu viert in der Sonne, frühstücken gemütlich und unterhalten uns mit Corinna und ihrem Freund, die auch aus Deutschland kommen und auf ihrer Weltreise gerade in der Mongolei Station machen. Viel später als angedacht kommen wir in die Gänge, räumen unseren ganzen Kram zusammen und stehen dann etwas ratlos mit all unsrem Gepäck vor den Motorrädern. Melle soll bei Luki mitfahren, was aber heißt, dass sämtliches Gepäck von Lukis Motorrad auf Manfreds und meines aufgeteilt werden muss - endlich eine Möglichkeit zu beweisen, dass die zahllosen Stunden Tetris doch keine Zeitverschwendung waren. Noch schnell tanken, die Motoren mit ein bisschen Öl füttern und auf zur Ziel-Etappe: Khuvsgul See.

Der Eingang zum Guesthouse. Der Milchtee in der Tasse über dem Türstock ist für die Götter gedacht.


Frühstücksvorbereitungen in der Sonne

Von Murun bis nach Khatgal, dem Dorf an der Südspitze des Khuvsgul Sees, sind es keine 100 Kilometer. In der vergangenen Woche hat es noch einmal richtig viel geschneit - keine Seltenheit Ende Mai, immerhin liegt der See recht weit im Norden und mehr als 1600 Meter über dem Meeresspiegel. Seit zwei Tagen sind die Temperaturen ordentlich in Höhe geklettert und das Tauwetter hat eingesetzt. Immer wieder laufen kleine und große Bäche über die Straße oder auf ihr entlang. In der Mongolei nennen viele Menschen den Khuvsgul See wegen seiner Größe auch Ozean. Nach über vier Monaten in der Mongolei vermisse ich das Meer mehr und mehr und so hoffe ich, dass wir an irgendeinem Punkt der Strecke über eine Kuppe oder um einen Berg herum fahren und der Ozean dann vor uns liegt. Es ist zwar nicht so spektakulär, wie ich es mir erhofft habe, aber kurz vor Khatgal fahren wir tatsächlich über einen Berg und vor uns liegt der Khuvsgul See. Wasser, endlich, welch eine Freude!
In Khatgal essen wir einmal mehr Khuushuur zu Mittag und werden von einer riesigen Horde Kinder überrascht, die alle die gleichen roten Trainingsanzüge tragen und offensichtlich irgendetwas feiern. Es dauert nicht lange, bis die ersten zu uns an den Tisch kommen, auf Mongolisch auf uns einreden, mit Melle Luftballons hin- und herstupsen und meine Ohrringe zählen. Einen Menschen mit Ring im Nasenflügel hat man hier wohl auch noch nicht gesehen und ist äußerst interessiert daran. Wir schmeißen all unsre Mongolischkenntnisse zusammen und können immerhin berichten, wie wir heißen, wie alt wir sind und, dass wir aus Deutschland und Österreich kommen. Danach machen wir uns auf die Suche nach Käse im speziellen und Essen im allgemeinen, kaufen ein bisschen was ein, verfrachten es irgendwie noch auf ein Motorrad und machen uns dann wieder auf den Weg. Wir wollen an der Westseite des Sees etwas weiter nach Norden, vorbei an den ganzen touristischen Ger-Camps und uns dort ein nettes Plätzchen zum Zelten suchen. Der Untergrund macht uns allerdings einen Strich durch die Rechnung. Das Tauwasser hat den Boden komplett aufgeweicht und die Mischung aus sülzigen Schneefeldern und zentimetertiefem Matsch machen das Vorwärtskommen mit Motorrädern fast unmöglich - zumindest für mich. Ich fahre mich mehr als einmal im Matsch fest und lege mich zweimal mit James, wie ich mein Motorrad getauft habe, in den Schnee. Das macht Sturz vier und fünf auf der Liste. Ganz toll, läuft ja heute wieder. Die Stimmung ist am Tiefpunkt. Enttäuschung darüber, dass unser Plan weiter den See hochzufahren, nicht aufgeht, Wut darauf, dass jemand nicht einsehen will, dass der Plan nicht klappt, schlechtes Gewissen, dass man die Reisegruppe aufhält und Hilflosigkeit, dass man grade nichts zur Besserung der Situation beitragen kann, mischen sich, während die Sonne unablässig auf uns herunter kracht. Wir entscheiden uns schließlich in der Nähe von Khatgal einen Zeltplatz zu suchen, fahren zurück ins Dorf und auf der befestigten Straße so weit aus dem Ort raus, wie es eben geht. Luki und Manfred wollen versuchen die Motorräder über einen kleinen Bergpass zu bringen, um auf der anderen Seite runter an den See zu gelangen. Sollen sie sich im Wald doch austoben - solange sie ihre schlechte Laune im Matsch lassen und danach wieder sozial-verträglich sind, ist mir alles recht. Ich schnappe mir wütend meine Kamera, stapfe mindestens genau so schlecht gelaunt wie die Jungs Richtung See, maule Melle an, dass sie mich bitte einfach mal zehn Minuten in Ruhe lassen soll und setze mich auf die Steine am Seeufer. Das Wasser hat genau die Wirkung, auf die ich gehofft habe und so sitzen Melle und ich wenig später gemeinsam am Ufer, schmeißen Steine in das ruhige und unfassbar klare Wasser, planschen mit den Füßen darin, genießen die Ruhe, schnacken über Gott und die Welt und merken gar nicht, wie die Zeit vergeht.






Irgendwann sehen wir Luki zurückkommen, der im Schere-Stein-Papier verloren hat und nun noch Felicitas, sein Motorrad, holen muss. Während er sich also noch einmal die Matschschlacht über den Berg antut, spazieren Melle und ich am Ufer entlang zur Beton(halb)insel, die Manfred und Luki als Zeltplatz auserkoren haben, bleiben alle paar Meter stehen, um Fotos zu machen, und brauchen am Ende länger als Luki.





Zu viert turnen wir auf unserer Insel rum, freuen uns unglaublich darüber, dass wir so einen schönen Ort gefunden haben, tauschen die verschwitzten Motorradklamotten gegen bequeme Sachen und ringen uns dann langsam dazu durch, unser Lager für die Nacht herzurichten. Wir teilen die Insel in Küche, Wohn- und Schlafzimmer und Garage auf und erklären den See zum Badezimmer. Luki verkündet, dass er Gourmet-Koch ist und beginnt in der Küche mit Gaskocher und allerhand anderem Kram zu hantieren, Manfred zieht los um Holz zu sammeln und kümmert sich ums Lagerfeuer und Melle und ich bauen die Zelte auf. Zum Abendessen kredenzt Luki Kartoffeln auf Joghurtspiegel, garniert mit Mais, fast einer ganzen Knolle gehacktem (und rohem) Knoblauch und Wurst und hat sich damit mindestens zwei Micheline-Sterne für sein Outdoor-Restaurant verdient. Den Rest des Abends sitzen wir am Lagerfeuer, trinken Wodka und liefern uns einen erbitterten Kampf um die Musikbox. Mit Melle hat Luki nun Verstärkung an der Front der Mallorca-Musik-Liebhaber bekommen und die Teams sind gleich stark.

Die Beton(halb)insel - Zuhause für die nächsten zwei Tage


I don't do fashion, I am fashion - Luki, 25, setzt neue Trends in Sachen Motorradklamotten


Die Zeltaufteilung etwas später folgt aus unerklärlichen Gründen dem Muster: Frühaufsteher hierhin, Langschläfer dorthin. Ich lande im Frühaufsteherzelt und verstehe die Welt nicht mehr, aber immerhin habe ich die bequemere Schlafunterlage abgestaubt. Als ich schon in x Schichten eingemummelt im Schlafsack liege, höre ich im Zelt nebenan eine angetüdelte Melle Oh Luki, du bist sooooo betrunken kichern, dann schlafe ich zufrieden ein.

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