Roadtrip #5

Mittwoch, 22. Mai 2019

Ich wache davon auf, dass es nach Lagerfeuer riecht und mit Töpfen geklappert wird. Unsre Interpretationen am Abend zuvor waren also tatsächlich richtig - die drei Mongolen sind zurück und machen Frühstück für uns. Manfred ist schon aufgestanden und ich kann mich im Zelt breit machen, den Schlafsack noch einmal über die Augen ziehen und vor mich hin dämmern. Im Gegensatz zur Nacht ist es im Zelt inzwischen sogar halbwegs warm und ich friere nicht. Eine Weile später krieche ich aus dem Zelt, ziehe mir Daunenjacke und Mütze zu kurzer Hose und Wollsocken an, setze die Sonnenbrille auf und mich verschlafen zu den anderen ans Feuer. Enkhtaivan, einer der drei Mongolen, drückt mir einen Becher salzigen Tee in die Hand und schneidet dann weiter Zwiebeln und Knoblauch für die Suppe. Dann wird noch getrocknetes Yak-Fleisch weichgeklopft, zusammen mit Nudeln in den Topf geschmissen und fertig ist das Frühstück. Die Suppe ist lecker und wir nehmen alle gerne noch einen Nachschlag, lehnen das angebotene Bier aber ab, immerhin müssen wir später noch Motorrad fahren.
In zwei Tagen von Ulaanbaatar an den Khuvsgul See zu fahren war nicht das, was man sich unter einer entspannten Reise vorstellt. Aus diesem Grund haben wir entschieden uns für die Rückreise einen Tag mehr zu nehmen und nachdem für Freitag noch dazu schlechtes Wetter inklusive Regen gemeldet ist, wollen wir die Freitag-Etappe so kurz wie möglich halten. Seeeeeeehr gemächlich packen wir nach dem Frühstück und dem Abschied von unsren mongolischen Freunden unser Lager zusammen. Es wird nicht viel geredet, niemand scheint so richtig froh darüber zu sein, dass es nun wieder Richtung Süden und weg von der lieb gewonnenen Beton(halb)insel geht. Bis alles zusammengepackt und auf den Motorrädern befestigt ist, wir uns trotz der Wärme in die Motorradklamotten gequält haben und alle startklar sind, ist es früher Nachmittag. Wir pokern darauf, dass die Sonne in den vergangenen zwei Tagen den Matsch am Berg halbwegs getrocknet hat und ich selbst nach Khatgal fahren kann. Der ein oder andere Bach bahnt sich seinen Weg über die Schotterstraße, vom Matsch im Wald ist aber kaum etwas übrig und so sind wir in kürzester Zeit in Khatgal, fahren noch einmal durch das verschlafene Dörfchen und machen uns dann ohne Pause weiter über die Berge nach Murun.

Eine Gruppe im Wert von 299 Kamelen

Mongolische Frühstück: salziger Tee und Nudelsuppe mit Zwiebeln, Knoblauch und Yak-Fleisch


Dinge, die James kann: Handys aufladen. Gründe, warum man James mag: er kann Handys aufladen.

In den Bergen sind die Temperaturen zum Fahren wunderbar. Nicht zu warm, nicht zu kalt, alles in allem sehr angenehm. In Murun sieht das ganz anders aus - es hat gefühlt 30 Grad, ein trockener Wind fegt Sand und Staub durch den Ort und die Sonne brennt erbarmungslos vom Himmel. Wir stellen die Motorräder ab, ziehen sämtliche Schichten aus, machen uns auf die Suche nach Khuushuur und werden einmal mehr enttäuscht. Wir essen schweigsam zu Mittag, trödeln vor uns hin, telefonieren, zocken an unsren Handys, gucken Löcher in die Luft, freuen uns über die anständige Toilette und kommen schon wieder nicht in die Gänge. Bis wir uns endlich aufraffen, ist es schon fast halb vier. Na gut, weiter geht's. Tanken und Einkaufen und dann auf direktem Weg raus aus der Wärme und der stickigen Stadt. Zur Abwechslung springt Jackqueline sofort an, Feli gibt dafür keinen Laut von sich. Nach einigen erfolglosen Versuchen wird der Plan also umgeschmissen und anstelle von der Tanke ist eine Werkstatt die nächste Anlaufstelle. Während Melle und Luki Felicitas also zur nächsten Werkstatt schieben, gehen Manfred und ich schon einmal einkaufen. Brot, Wasser und vorsichtshalber das ein oder andere Panik-Snickers, wer weiß schon, was der Nachmittag noch so bringt. Als wir zu unsren Motorrädern zurückkommen, stehen Luki und Melle schon startklar da und der Motor läuft. In der Werkstatt hat Melle mit Händen und Füßen probiert zu erklären, dass das Motorrad nicht mehr anspringt, Luki wollte das ganze parallel demonstrieren und - Feli springt an. Der Mechaniker ist mehr als verwirrt und Melle und Luki attestieren Feli Angst vorm Arzt. Jetzt noch einen Stopp bei der Tankstelle und dann geht es endlich weiter. Wir fahren aus Murun raus, sind allesamt froh, dass wir endlich die Stadt hinter uns lassen und drehen ordentlich auf. Die chinesischen Qualitätsmotorräder haben von Anfang an reichlich Geräusche von sich gegeben, von denen man lieber nicht wissen möchte, wo sie herkommen. Nachdem immer alles gut gegangen ist, hat man sich irgendwann keine Sorgen mehr gemacht. Als wir aus Murun rausfahren höre ich aber ein neues Geräusch und es klingt alles andere als gut. Ich winke Luki ran, lass ihn sich das mal anhören und keine zwei Kilometer hinter Murun stoppen wir schon wieder. James bekommt neues Öl und die anderen beiden vorsichtshalber auch. Richtig weg ist das komische Klappergeräusch dann zwar auch nicht, aber allein das Gefühl etwas getan zu haben, beruhigt. Weiter geht’s, jetzt aber wirklich.
Tjaaaaa, denkste! Auf einem Hügel hinter Murun ist die lokale 1-Mann-Polizeistation und der Herr hat Lust uns rauszuwinken. Weswegen er uns rauswinkt und was er von uns will, weiß niemand, Englisch gehört offensichtlich nicht zur Ausbildung der mongolischen Polizei. Zwar erklären wir ihm, dass wir kein Mongolisch sprechen, stören tut es ihn aber nicht. Er redet weiter auf Mongolisch auf uns ein. Wir drücken ihm Fahrzeugpapiere und wahlweise Personalausweis, Führerschein oder Aufenthaltserlaubnis in die Hand. Er freut sich über die Dokumente, liest unsre Namen laut und äußerst belustigt vor, gestikuliert dann weiter wild in der Gegend herum und will uns nicht weiterfahren lassen. Ein mongolischer Aufenthaltstitel ist der Freifahrtschein (im wahrsten Sinne des Wortes) schlechthin und ich bin aus dem Schneider. Der Polizist möchte auch die Aufenthaltstitel von den Jungs sehen, versteht aber nicht, dass die beiden keine haben, weil sie nicht so lange in der Mongolei sind. Er quatscht weiter auf Mongolisch auf uns ein, versteht nicht, dass wir ihn nicht verstehen und langsam macht sich bei uns Unmut breit. So kommen wir hier nicht weiter. Ich rufe Bayra an, eine Freundin und Kollegin aus der Sprachschule, und bin wahnsinnig erleichtert, dass sie ans Handy geht - Bayra ist im Moment als Reiseleiterin in der Steppe unterwegs und hat ähnlich wie wir selten Netz. Ich erkläre ihr kurz unsre Situation und drücke dem  nervigen Herren von der Polizei dann mein Handy in die Hand. Wenig später berichtet Bayra, dass er unsre  Pässe und internationalen Führerscheine sehen will. Unsre Pässe liegen als Pfand für die Motorräder in Ulaanbaatar und internationale Führerscheine haben wir nicht. Mir scheint letzteres aktuell aber keine situationsverbessernde Auskunft zu sein, deswegen lasse ich Bayra ausrichten, dass wir unsre internationalen Führerscheine nicht dabei haben, weil uns gesagt wurde, man bräuchte sie in der Mongolei nicht und alles, was man nicht mit auf einen Roadtrip nimmt, kann man nicht verlieren. Die Antwort gefällt ihm nicht sonderlich, er murrt noch eine Weile rum, lässt sich dann aber dazu hinreißen uns weiterfahren zu lassen. Ich danke Bayra, flitze zurück zu den anderen dreien, überbringe die frohe Botschaft und wir beeilen uns das Weite zu suchen, bevor es sich der Polizist doch noch anders überlegt. Inzwischen ist es kurz nach 17 Uhr und wir haben mit Mühe und Not 100 Kilometer zusammengefahren. Bis Ikh-Uul, unser erklärtes Ziel, ist es ungefähr noch einmal genau so weit. Wir fahren hinter Murun wieder in die Berge, wo wir vor drei Tagen ordentlich gefroren haben und die Schneedecke noch geschlossen war. Kalt ist es auch heute wieder, vom Schnee ist aber fast nichts mehr zu sehen. Bis wir auf der Straße vor Ikh-Uul stehen, ist es schon fast 19 Uhr. Der Spanngurt, mit dem wir den Wasserkanister an Manfreds Motorrad befestigt haben, ist durchgeschmort, der Kanister in voller Fahrt runtergefallen und hat nun ein Loch. Aber keine Panik auf der Titanic, das ist nichts was ein bisschen Klettertape nicht regeln könnte. Weil wir eh schon stehen, machen wir eine kurze Verschnaufpause, trinken einen Schluck und gucken nach dem Hickhack früher am Nachmittag nun auch alle wieder entspannt und mit guter Laune in der Gegend herum. Begeistert stelle ich fest, dass wir dank der Nähe zur Zivilisation grade Netz haben und während die anderen drei schnacken rufe ich Mette an, um ihr zum Geburtstag zu gratulieren. Eine kurze Lagebesprechung ergibt, dass niemand große Lust hat heute noch auf Biegen und Brechen Kilometer zu schrubben und wir stattdessen lieber Ausschau nach einem schönen Zeltplatz halten wollen. Wir schwingen uns also wieder auf die Motorräder und weiter geht’s.

Mongolia in a nutshell: blauer Himmel, grüne Wiesen, ein kleiner See und eine Pferdeherde

Nicht weit hinter Ikh-Uul ändert sich die Landschaft und links und rechts der Straße tauchen die ersten Bäume auf. Nach und nach verdichten sich die Baumreihen und irgendwann ziehen sich an den Hängen um uns herum Wälder hoch. Wir sind alle etwas verwirrt, niemand von uns kann sich erinnern, dass wir auf dem Hinweg Wald gesehen haben. Die Karte sagt jedoch, dass wir richtig sind und so denken wir nicht weiter darüber nach und genießen lieber die Aussicht. Die Idee unser Nachtlager am Waldrand aufzuschlagen stößt nur bedingt auf Zustimmung. In mongolischem Wäldern treiben sich Wölfe, Bären und anderes Getier herum und die nähere Bekanntschaft mit einem dieser Tiere gehört so gar nicht zu den Dingen, die ich unbedingt erlebt haben muss. Melle und Manfred machen sich eher weniger Sorgen, stimmen aber zu, dass wir noch ein bisschen weiter fahren in der Hoffnung, dass der Wald wieder lichter wird oder sogar ganz verschwindet. Als um halb neun die Sonne untergeht, säumen noch immer Wälder die Berghänge links und rechts von uns. Am Ufer eines kleinen Flusses tummeln sich aber unzählige Schafe und ein paar Pferde und Manfreds Argument, dass man dort, wo Tiere nachts draußen stehen, wohl keine Wölfe zu befürchten hat, überzeugt uns. Wir biegen also von der Straße ab, fahren quer über die Wiese auf den Fluss und die Schafe zu und suchen nach einer Furt, durch die wir mit den Motorrädern auf die andere Seite gelangen können. Der Wind hat wieder ordentlich aufgefrischt, weswegen wir zum Schutz möglichst nah an den Berg auf der anderen Flussseite wollen. Das Tauwetter oben in den Bergen macht sich jedoch bemerkbar und der Fluss ist mit ordentlicher Geschwindigkeit unterwegs und vor allem sehr schlammig.  Mit den Motorrädern dadurch zu fahren scheint uns nur eine mäßig gute Idee zu sein und so entscheiden wir uns nach einigem Hin und Her dazu den Fluss nicht zu überqueren und küren zu Melles großer Begeisterung die Wiese neben einem kleinen Wasserfall zum Zeltplatz. Inzwischen ist es nach 21 Uhr, die Berge um uns herum schlucken das abendliche Licht und wir müssen uns beeilen, dass wir wenigstens die Zelte noch im Dämmerlicht aufgebaut bekommen. Wirklich absprechen müssen wir uns nach fünf Tagen zusammen nicht mehr - Luki kocht, Manfred sammelt Holz und macht Lagerfeuer und Melle und ich bauen die Zelte auf. So zumindest der Plan. Während Melle und ich eifrig mit dem Bau des Zeltdorfes anfangen, stehen Luki und Manfred Schulter an Schulter um mein Motorrad und kichern vor sich hin. Ich zähle 1 und 1 zusammen und haste zu James und den Jungs: auf meinem Motorrad ist noch immer der Versorgungsrucksack und in ihm sind die Panik-Snickers. Die Heimlichtuerei von Luki und Manfred kann also nur eines bedeuten! Wenig später hat auch Melle die Zelte vergessen und wir stehen zu viert herum und lassen uns die Snickers schmecken, während schon wieder Wanda über die Wiese klingt. Auf der anderen Seite des Flusses bricht plötzlich große Unruhe unter den Schafen aus. Die Besitzerin der Herde kommt auf ihrem Pferd angaloppiert und unter unseren faszinierten Blicken treibt sie die Schafe mit Leichtigkeit und in den Steigbügel stehend durch eine Furt auf unsre Seite des Flusses und dann weiter zu einem Stall. Das Da-sind-Schafe-da-sind-also-keine-Wölfe-Argument hat sich damit in Luft aufgelöst, aber eine Alternative zum Hierbleiben haben wir nicht und so widmen uns mit einem Schulterzucken wieder unsren Aufgaben.



Die Zelte sind schnell aufgebaut, mit reichlich Heringen gegen den Wind gesichert und bezugsfertig. Melle springt gut gelaunt durchs Camp und freut sich noch immer über den Wasserfall, ich helfe Manfred ein bisschen beim Lagerfeuer und nuschle vor mich hin, dass wir das mit dem Wasserfall noch bitter bereuen werden. Das ist garantiert eine genau so blöde Idee wie am Strand zu schlafen, wo ständig Wellen brechen. Manfred stimmt mir zu und fragt, ob ich eigentlich schon die Frösche gehört habe, die in einem Fort quaken. Nein, hab ich nicht. Wasserfall und Frösche, ich seufze lachend und verabschiede mich schon einmal vom Schlaf. Eine Weile später sitzen wir am Lagerfeuer, essen schon wieder Nudeln mit Soße und sind alle ganz schön müde und kaputt. Das Treibholz, das Manfred auf der Wiese zusammengesammelt hat, brennt wie Zunder. Während das Feuer vor sich hin prasselt unterhalten sich Melle und Luki ruhig, Manfred dämmert weg und schnarcht leise vor sich hin und ich liege auf dem Rücken im Gras und starre in den unfassbaren Sternenhimmel. Als der Wind langsam nachlässt und das Feuer nur noch glimmt, verziehen wir uns in die Zelte. Alles, was man dann noch hört ist der verdammte Wasserfall und das Gequake der elenden Frösche. Zu meinem Glück bin ich so müde wie lange nicht mehr und schlafe wider Erwarten schnell ein und störe mich an dem Spektakel draußen nicht.

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